Jan Egeland, NRC-Generalsekretär, diskutiert mit Bakary, einem vertriebenen Kind aus der Region Tillaberi. Bei seiner Geburt wurde keine Geburtsurkunde ausgestellt, aber mit der Unterstützung von NRC konnten sich seine Eltern nun eine Urkunde leisten. Mit diesem Dokument kann Bakary Prüfungen bestehen, seinen Abschluss machen und in der Schule weiterlernen.

Niger: Gewalt gefährdet die Zukunft von Jugendlichen im jüngsten Land der Welt

Veröffentlicht 05. Feb. 2023|Bearbeitet 10. Feb. 2023
Zwangsvertreibungen und massive Schulschließungen haben die Zahl der Kinder, die in Niger keine Schule besuchen, drastisch erhöht und bedrohen die Zukunft einer ganzen Generation, betont NRC Flüchtlingshilfe.

Derzeit gehen 42 Prozent der Kinder nicht zur Schule, gegenüber 34 Prozent vor fünf Jahren. In einem Land, in dem derzeit die Hälfte der Bevölkerung unter 15 Jahre alt ist, macht dies den Bildungsfortschritt der vergangenen Jahrzehnte wieder rückgängig.

„Nigers Gewalt findet unter der ärmsten und jüngsten Bevölkerung der Erde statt. Es stellt 50 Jahre Fortschritt in Richtung Bildung auf den Kopf, wird aber dennoch vom Rest der Welt immer noch vernachlässigt“, sagte Jan Egeland, NRC-Generalsekretär, als er diese Woche das Land besuchte.

„Heute wurden rund 900 Schulen wegen bewaffneter Angriffe geschlossen. Eine halbe Million Kinder, die in Konfliktgebieten in Niger leben, benötigen dringend Bildungs-Nothilfe. Wenn die Zukunft eines Landes an seiner Jugend hängt, muss gegenwärtig mehr getan werden, um der Jugend Hoffnung auf Bildung, Beschäftigung und Schutz ihrer Menschenrechte in Niger und dem Rest der Sahelzone zu geben.“

Seit 2018, als die Gewalt aus Mali und Burkina Faso überschwappte, ist die westliche Region Tillabéri zum Epizentrum von Angriffen auf die Zivilbevölkerung des Landes geworden. Mehr als die Hälfte der 2021 getöteten Zivilisten befand sich in Tillabéri, und die vertriebene Bevölkerung hat sich seit 2018 vervierfacht. Die Unsicherheit ist extrem hoch. Die Region haust 92 Prozent aller geschlossenen Schulen des Landes und ungefähr die Hälfte aller Kinder mit Bedarf für Bildungs- und pädagogischer Nothilfe.

Es ist wichtig, Klassenzimmern zu öffnen, aber oft nicht genug: Kinder in Krisengebieten brauchen auch Hilfe bei der Bewältigung von Traumata, die ihr Verhalten und ihre Lernfähigkeit massiv beeinträchtigen können. Nur knapp die Hälfte, der von NRC in Niger befragten Kinder gaben an, sich leicht konzentrieren und in der Schule ihr Bestes geben zu können. Ganze 70 Prozent gaben an, dass sie wenig oder keine Hoffnung für die Zukunft haben.

Die weit verbreitete Gewalt und die daraus resultierenden, teilweise mehrfachen, Vertreibungen, wirken sich auch auf den Zugang zu Zivildokumenten für Jugendliche aus. Fast drei von vier Kindern, die auf der Flucht geboren wurden, haben keine Geburtsurkunden. Dies erschwert zusätzlich ihren Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Lebensunterhalt.

„Eine Geburtsurkunde ist nicht nur ein Stück Papier. Es ist der Schlüssel zur Zukunft eines Kindes“, sagte Egeland. „Um dauerhafte Lösungen für Vertriebene zu finden, muss ihr Recht auf eine legale Existenz garantiert werden. Während wir mit den Behörden zusammenarbeiten, um Vertriebene bei der Beschaffung oder Wiedererlangung ihrer Zivildokumente zu unterstützen, müssen die Bemühungen dringend verstärkt werden, um die Verfahren zu vereinfachen und sie für gefährdete Bevölkerungsgruppen erschwinglicher zu machen.“

Wegen der Verschlechterung der humanitären Krise in der Sahelzone zwischen Niger, Burkina Faso und Mali, müssen Geberländer, nationale Behörden und die humanitäre Gemeinschaft einen Weg finden, um ein sicheres Umfeld für Binnenvertriebene, Flüchtlinge und Aufnahmegemeinschaften zu schaffen.

Fakten und Figuren:

  • Niger ist eines der ärmsten Länder der Welt, mit mehr als 10 Millionen Menschen (über 40 % der Bevölkerung), lebend in extremer Armut – aber es ist auch das jüngste Land der Welt mit 49 % der Bevölkerung, derzeit unter 15 Jahre alt (Weltbank & Weltbank).
  • Die Rate der Kinder, die nicht zur Schule gehen, ist zwischen 1973 und 2017 kontinuierlich gesunken, von 89 % auf 34 % (Weltbank).
  • Mit 153.455 Binnenvertriebenen beherbergt die Region Tillabéri nun 40 % aller Binnenvertriebenen des Landes (insgesamt 376.809). Die Zahl der Vertriebenen in Tillabéri hat sich seit 2018 mehr als vervierfacht, während sie in der Region Diffa, Nigers anderem Hotspot von Vertreibung (OCHA), relativ stabil geblieben ist.
  • Im Jahr 2021 wurden in Tillabéri, Diffa, Tahoua und Maradi mehr als 4.200 Sicherungsvorfälle (darunter Entführungen, Attentate, Diebstähle, Bedrohungen) registriert, eine Steigerung von 38 % gegenüber 2020. Über 1.700 Zivilisten wurden getötet, 54 % davon in Tillabéri (Niger’s Sicherungscluster).
  • Bis Dezember 2022 waren landesweit 878 Schulen geschlossen, davon 809 in der Region Tillabéri (Bildungscluster). 2023 benötigen insgesamt 444.290 Kinder humanitäre Hilfe, für Zugang zu Bildung, 47 % davon in der Region Tillabéri (OCHA’s 2023 Überblick zu humanitärem Bedarf).
  • NRC führte 2021 eine Bewertung des Wohlergehens von Kindern in Schulen in der gesamten Zentralsahelzone durch. In Niger gaben 71 % der Befragten an, dass sie wenig bis gar keine Hoffnung für die Zukunft haben. Nur 38 % gaben an, sich vom Schulpersonal unterstützt zu fühlen, wenn sie Angst haben (Bericht vom Januar 2022).
  • 72 % der Befragten in Niger gaben an, keine Geburtsurkunden für auf der Flucht geborene Kinder zu haben (Project 21, Central Sahel Regional Protection Monitoring, Bericht Nov. 2021)
  • 3 Millionen (1 von 6 Menschen im Land) benötigen 2023 humanitäre Hilfe (OCHA, 2023 Überblick zu humanitärem Bedarf).
  • 2 Millionen Menschen sind im Jahr 2023 in Niger mit schwerer Ernährungsunsicherheit konfrontiert, mit einem voraussichtlichen Höhepunkt von demnächst fast 3 Millionen Menschen (Cadre Harmonisé).
  • 12.202 Geburtsurkunden wurden im Jahr 2022 dank direkter Unterstützung durch die Informations-, Beratungs- und Rechtshilfeprogramme von NRC in Niger ausgestellt.

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Tom Peyre-Costa, regionaler Medienberater für Zentral- und Westafrika, derzeit in Niger: tom.peyrecosta@nrc.no, +33 658 518 391.