Unsere Nothilfeteams sind vor Ort, um die Lage zu sondieren und die Notfallmaßnahmen zu koordinieren. Wir arbeiten mit den afghanischen Behörden, anderen Nicht-Regierungs-Organisationen und den betroffenen Gemeinden selbst zusammen.
„Die Zahl der Todesopfer, Verletzten und Schäden an Gebäuden werden in den kommenden Tagen weiter steigen. Darüber hinaus haben eine Reihe von Nachbeben und Sandstürmen unsere Hilfsmaßnahmen behindert”, sagt Maisam Shafiey, Kommunikations- und Advocacy-Berater für NRC Flüchtlingshilfe in Afghanistan. So wie Tausende Familien in den betroffenen Gebieten hat er eine weitere Nacht draußen im Freien verbracht.
Shafiey hat mit mehreren Überlebenden gesprochen. Sie erzählten ihm, wie geliebte Familienmitglieder unter eingestürzten Häusern begraben wurden und wie sie nun selbst ohne Zuhause dastehen und nicht wissen, wie sie durch den Winter kommen sollen.
Die Toten aus den Trümmern bergen
„Ich arbeitete draußen, als mein Sohn schrie, dass seine Mutter im Haus sei, unter den Trümmern eingeschlossen. Ich hatte keine Schaufel oder anderes Werkzeug, dass ich hätte benutzen können, um die Trümmer beiseitezuschaffen. Dann kam der zweite Schock, als das gesamte Haus einstürzte. Leider kamen meine Frau und zwei meiner Kinder dabei ums Leben“, sagt Faizullah, ein 38-jähriger Einwohner des Dorfs Qala-e Nawak in der Provinz Herat.
Er sagt, dass alle mit ihrem eigenen Haus beschäftigt waren und ihm niemand dabei helfen konnte, in den Trümmern seines Hauses nach seiner Frau und seinen zwei Kindern zu graben.
Zwei von Faizullahs Töchtern, die 6-jährige Parwana und die 8-jährige Marzia, überlebten das Erdbeben.
„Sie waren bei unseren Nachbarn und wurden beide unter den Trümmern begraben, als das Haus einstürzte. Aber ich schaffte es, Marzia zu befreien. Zuerst dachten wir, sie sei tot, aber wir gossen etwas Wasser über ihr Gesicht und konnten sehen, dass sie am Leben war und atmete.“
Parwana, Faizullahs zweite Tochter, wurde zur Behandlung ins Krankenhaus gebracht. „Als ich sie im Krankenhaus abholte, schlang sie ihre Arme um meinen Hals und fragte, wo ihre Mutter sei. Und ich hatte keine Antwort für sie“, sagt er.
Winter im Anmarsch
Der Winter steht vor der Tür und die nächtlichen Temperaturen beginnen bereits zu sinken. Tausende Familien schlafen auf dem Boden ohne Hab und Gut.
„Mit kleinen Kindern wird es schwierig, den Winter in diesem Zelt zu überstehen. Wir haben unseren gesamten Besitz unter den Trümmern verloren“, sagt Faizullah.
Unsere Hilfsmaßnahmen
„Unsere Maßnahmen werden sich auf zwei Bereiche aufteilen: zunächst den unmittelbaren Bedarf wie Unterkünfte, Decken, sauberes Wasser und Latrinen, und schließlich eine langfristige Planung, um den Gemeinden wieder auf die Beine zu helfen”, sagt Shafiey.
„In der zweiten Phase wollen wir die Resilienz der vom Erdbeben betroffenen Bevölkerungsgruppen stärken. Wenn die Finanzierung es zulässt, werden 30.000 Menschen davon profitieren.”
Die Gemeinde hilft
Assadullah, 33, Einwohner des Dorfes Sar Buland in der Provinz Herat, lebte zusammen mit seiner Mutter, seiner Frau, zwei Söhnen und zwei Töchtern in einem neu gebauten Haus, das vom Erdbeben völlig zerstört wurde.
„In den ersten zwei Tagen und Nächten nach dem Erdbeben brachten Leute aus der Gemeinde uns Essen, Wasser, Decken und andere Dinge. Sie halfen auch dabei, Leichen aus den Trümmern zu bergen,” sagt er.
Die Kinder haben Albträume
Assadullah lebt nun mit seiner Familie in einem Zelt neben den Überresten ihres Hauses.
„Nachts weinen die Kinder und schreien immer wieder: ‘Erdbeben, Erdbeben!’ Ich versuche, sie zu beruhigen und sage ihnen, dass nichts geschehen wird und dass das nur Albträume sind.“
„Wir haben unser Zuhause verloren. Wir brauchen eine Unterkunft, wir brauchen Wasser und wir brauchen Sachen, die uns den Winter über warm halten“, sagt er.
Assadullah braucht 200.000 Afghani (etwa 2.500 Euro), um seiner Familie ein neues Haus zu bauen. Bei dem Erdbeben hat er auch sein Vieh verloren. Er erzählt, dass viele Dorfbewohner immer noch Vieh, aber kein Futter für die Tiere haben.
Ein ohnehin instabiles Land
Die von den Erdbeben betroffenen Gemeinden leiden seit Jahrzehnten unter Konflikten und Unterentwicklung. Sie haben kaum Ressourcen, um mit mehreren Katastrophen gleichzeitig fertig zu werden.
„Unser Fokus wird sich darauf richten, die Betroffenen zu unterstützen, ihr Leben wieder aufzubauen. Wir hoffen, dass wir es ermöglichen können, dass sie in ihrer Heimat bleiben können und nicht in die umliegenden größeren Städte umgesiedelt werden“, sagt Shafiey.
Die humanitäre Hilfe in Afghanistan ist bereits hoffnungslos überlastet und unterfinanziert. Über 29 Millionen Menschen benötigen humanitäre Hilfe. Die Lebensmittelrationen des Welternährungsprogramms wurden unlängst aufgrund von Mittelkürzungen erheblich reduziert, sodass Millionen Familien nicht mehr genug zu essen haben.
Mit dem herannahenden Winter wächst die Sorge, wie die Gemeinden überleben sollen. Der Weg zurück zur Normalität wird für viele afghanische Familien lang und steinig sein.