10 Dinge, die Sie über die humanitäre Lage in Gaza wissen sollten

Ein Jahr der Bombardierungen, der Vertreibung, der Angst und des Hungers.

Die Angriffe auf den Gazastreifen dauern seit einem Jahr an. Mehr als 138.000 Menschen wurden in dieser Zeit getötet oder verletzt. Die israelischen Geiseln werden weiterhin festgehalten, während die gesamte Bevölkerung von Gaza vom Hungertod bedroht ist. 

Obwohl jeden Tag nur eine kleine Menge an Hilfslieferungen im Gazastreifen ankommt, konnte der Norwegian Refugee Council (NRC) dort über 300.000 Menschen unterstützen. 

Unsere 49 Kolleg*innen sind immer noch vor Ort tätig und stellen sauberes Wasser, Unterkünfte, Bargeld, Schutz, rechtliche Hilfe und Bildungsleistungen bereit, doch die Lage wird von Tag zu Tag immer katastrophaler. Die Familien sind in einer Spirale der Vertreibung gefangen. Immer neue Angriffe zwingen die Menschen, ihr Hab und Gut zusammenzupacken und zu fliehen, aber es gibt keinen sicheren Ort. 

Hier sind 10 wichtige Dinge, die Sie über die Geschehnisse in Gaza wissen sollten. 

1: Über 41.000 Tote 

Es wird vermeldet, dass seit dem 7. Oktober 2023 im Gazastreifen 41.638 Palästinenser*innen getötet und 96.460 verletzt wurden. Mehr als 10.000 Menschen gelten als vermisst oder wurden unter Trümmern verschüttet.  

Bei dem abscheulichen Angriff bewaffneter palästinensischer Gruppen am 7. Oktober wurden rund 1.200 Israelis und Menschen anderer Nationalitäten getötet. Hunderte Menschen wurden gezielt angegriffen und mehr als 250 als Geiseln genommen. Es wird geschätzt, dass sich noch 101 Geiseln im Gazastreifen befinden. 

2: 1,9 Millionen Menschen wurden vertrieben 

Der Konflikt hat zu schweren Zerstörungen und massiven Vertreibungen im Gazastreifen geführt. Die Zahl der Menschen, die ihre Häuser verlassen mussten, wird auf rund 1,9 Millionen geschätzt. Dies entspricht 90 Prozent der Gesamtbevölkerung des Gazastreifens. Viele von ihnen wurden mehrfach vertrieben. 

3: Massive Zerstörung von Wohnhäusern und Infrastruktur 

Nach Angaben der Weltbank vom Januar 2024 sind im Gazastreifen 60 Prozent der Wohngebäude und 80 Prozent der Gewerbegebäude beschädigt oder zerstört. 

65 Prozent des Straßennetzes sind beschädigt oder zerstört, wie das UN-Satellitenbeobachtungsprogramm (UNOSAT) am 29. Mai 2024 bekanntgab.  

4: Kinder ohne Schulbildung 

625.000 Schüler*innen haben keinen Zugang zu Schulbildung, weil es für die Kinder im Gazastreifen keine formale Bildung oder Schulen mehr gibt.  

Vor dem 7. Oktober wurden 40 Prozent der Schulen in Gaza vom Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) betrieben. Die meisten Schulen wurden inzwischen in Unterkünfte umgewandelt, in denen über eine Million Binnenvertriebene untergebracht sind. 

Mindestens 10.301 Schüler*innen und 416 Lehrkräfte wurden getötet. 95 Prozent der Schulen wurden direkt getroffen, beschädigt oder sind wahrscheinlich beschädigt.  

Darüber hinaus benötigen eine Million Kinder psychologische und psychosoziale Betreuung.  

5: 2,15 Millionen Menschen leiden unter Ernährungsunsicherheit 

96 Prozent der Bevölkerung sind einer Ernährungskrise oder Notlage ausgesetzt (IPC-Phase 3 oder höher).https://www.nrc.no/perspectives/2022/what-is-a-famine/ 

495.000 Menschen leben unter katastrophalen Ernährungsbedingungen (IPC-Phase 5). 

346.000 Kinder unter fünf Jahren und 160.000 schwangere oder stillende Frauen müssen zusätzlich mit Nahrung und Mikronährstoffen unterstützt werden. 

Es wird geschätzt, dass in diesem Jahr 50.000 Kinder eine Behandlung aufgrund von akuter Unterernährung benötigen.  

Lesen Sie mehr über die verschiedenen Phasen der Ernährungsunsicherheit 

6: Kraftstoff, Nahrungsmittel und Wasser werden knapp 

Die Versorgung mit Trinkwasser und Wasser für häusliche Zwecke entspricht nur noch einem Viertel der Wasserversorgung vor Oktober 2023, wie das Water, Sanitation and Hygiene (WASH) Cluster mitteilt. 

Tankwagen sind inzwischen ein wichtiges Mittel, um Wasser im Gazastreifen zu verteilen. Viele Menschen sind darauf angewiesen, ihr Wasser mit Kanistern von den Tankwagen oder von öffentlichen Verteilerstellen abzuholen.  

Seit Oktober 2023 haben die israelischen Behörden die Stromversorgung im Gazastreifen unterbrochen und die Abschaltung der örtlichen Kraftwerke erzwungen.  

Daher wird jetzt dringend Kraftstoff zum Betrieb der Notstromgeneratoren benötigt, die die überlebenswichtige medizinische Infrastruktur und Geräte sowie die Produktionsanlagen für Wasser und Nahrungsmittel antreiben. Kraftstoff wird auch gebraucht, damit Krankenwagen, Lastwagen und andere Fahrzeuge betrieben werden können. 

Die israelischen Behörden kontrollieren weiter streng die Verteilung der Kraftstofflieferungen und beschränken dadurch die Arbeit der humanitären Organisationen. 

7: Das Gesundheitssystem ist zusammengebrochen 

Angriffe auf Krankenhäuser, eingeschränkter Zugang für humanitäre Organisationen und Blockaden bei lebenswichtigen medizinischen Lieferungen behindern die Möglichkeiten der Gesundheitseinrichtungen in Gaza, lebenswichtige Behandlungen für Bedürftige zu leisten, wesentlich. 

19 von 36 Krankenhäusern sind außer Betrieb. 986 Beschäftigte in Gesundheitseinrichtungen wurden getötet. 

8: Erhöhte Gefahr von Seuchen 

Die Menschen sind gezwungen, Wasser aus unsicheren Quellen zu trinken. Dehydrierung und wasserbedingte Krankheiten werden immer wahrscheinlicher und Medikamente sind knapp. Es gibt Berichte über Fälle von Windpocken, Krätze und Durchfallerkrankungen, die auf die schlechten Hygienebedingungen und den Konsum von unsauberem Wasser zurückzuführen sind. 

Aufgrund der Lage sind Impfprogramme unterbrochen worden. Das palästinensische Gesundheitsministerium hat die ersten Fälle von Kinderlähmung seit 25 Jahren bestätigt. 

9: Angriffe auf Hilfsorganisationen 

Der Gazastreifen ist der gefährlichste Ort für Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen auf der Welt. Nahezu alle palästinensischen Helfer*innen wurden vertrieben. Zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 25. September wurden mindestens 306 humanitäre Helfer*innen getötet. 

10: Eine katastrophale Belagerung 

Durch die Belagerung ist die Wirtschaft im Gazastreifen zusammengebrochen. Die meisten Menschen sind von der Außenwelt abgeschnitten. 

Israel beschränkt weiter massiv die Bereitstellung von lebenswichtigen Hilfsmaßnahmen. Vor dem 7. Oktober kamen pro Tag durchschnittlich 500 Lastwagen mit Kraftstoff, Nahrungsmitteln und anderen Gütern in den Gazastreifen. Derzeit kommen nur vereinzelt Lastwagen an. 

Die durchschnittliche Zahl der Lastwagen, die pro Tag lebensrettende Hilfe in die Region bringen, lag im Mai bei 94. Im Juni waren es 77, im Juli 79 und im August 65. 

Wie handelt der NRC? 

  • Seit dem 7. Oktober 2023 haben wir mehr als 120.000 Menschen mit Unterkünften und Hilfsgütern wie Zelten, Decken, Matratzen und Küchensets versorgt. 
  • Mehr als 80.000 Menschen haben wir mit Bargeld unterstützt, damit sie ihre Grundbedürfnisse decken können. 
  • Wir haben seit dem 7. Oktober 2023 mehr als 106.000 Menschen in Gaza mit sauberem Trinkwasser und Hygieneartikeln versorgt. 
  • Wir bieten Spiele und andere Aktivitäten sowie psychosoziale Unterstützungsprogramme für Kinder an. Diese Angebote sind so gestaltet, dass die Kinder in eine bessere Lage versetzt werden, um mit Stress und Traumata umzugehen. Wir haben auch Elternklubs ins Leben gerufen, die gemeinsame Aktivitäten für Kinder und ihre Eltern organisieren. Bislang haben mehr als 5.000 Menschen von diesen Angeboten profitiert. 
  • Wir haben auch Rechtsbeistand und Dienstleistungen zum Schutz der Menschen gefördert. 

Uns ist bewusst, dass diese Hilfsmaßnahmen nicht ausreichen, während weiter Bomben fallen. Wir setzen uns daher unermüdlich für eine dauerhafte Waffenruhe ein, damit die Palästinenser*innen in Gaza wieder in ein annähernd normales Leben zurückkehren können. 

Was fordern wir?  

  • Die Einhaltung des Völkerrechts. 
    Die internationale Gemeinschaft muss die Einhaltung des Völkerrechts gewährleisten, insbesondere die fundamentalen Grundsätze des internationalen humanitären Rechts und das Verbot von Angriffshandlungen. Große Anstrengungen müssen unternommen werden, um die Verantwortlichen für die von allen beteiligten Parteien verübten Gräueltaten zur Rechenschaft zu ziehen. 
  • Die Einstellung der Feindseligkeiten. 
    Alle an diesem Konflikt beteiligten Parteien müssen das Blutvergießen an der Zivilbevölkerung, die Vertreibung, die Zerstörung der Infrastruktur und die Ausbreitung von Hunger und Not stoppen. Eine sofortige, dauerhafte Waffenruhe, die vom UN-Sicherheitsrat gefordert wird, muss eingehalten werden und als Grundlage für eine formelle Übereinkunft zur Beendigung der Feindseligkeiten dienen. 
  • Freilassung aller Geiseln. 
    Hunderte israelische Bürger*innen wurden von bewaffneten Gruppen im Gazastreifen als Geiseln genommen, was gegen das Völkerrecht verstößt. Die Geiseln müssen vorbehaltlos freigelassen werden. Die durch Israel festgehaltenen Palästinenser*innen müssen in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht auf gesetzliche und humane Weise behandelt werden. 
  • Schutz der Zivilbevölkerung. 
    Alle Parteien müssen sich an die Regeln des Kriegsrechts halten, das vorsätzliche und willkürliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung und die für das Überleben der Zivilbevölkerung wichtige Infrastruktur verbietet. Die Nachlässigkeit und Rücksichtslosigkeit, die Israel bei seinen militärischen Einsätzen zeigt und die die Zivilbevölkerung und die humanitären Helfer*innen gefährdet, müssen beendet werden. Israel muss unverzüglich sicherstellen, dass seine militärischen Einsätze den Regeln des humanitären Völkerrechts entsprechen, einschließlich jener, die sich auf die Bereitstellung dringend benötigter humanitärer Hilfe beziehen. 
  • Beendigung der willkürlichen Einschränkungen der Hilfsmaßnahmen. 
    Israel muss seine vom Internationalen Gerichtshof angeordneten Verpflichtungen erfüllen, die grundlegende Versorgung wiederherstellen und die ungehinderte Bereitstellung von humanitären Hilfsmaßnahmen ermöglichen, um den Hunger zu bekämpfen. Die Hilfsmaßnahmen müssen wesentliche Bedürfnisse wie Nahrungsmittel, Wasser, Strom, Kraftstoff, Unterkünfte, Kleidung, Hygiene, sanitäre Einrichtungen, medizinische Versorgung und Gesundheitseinrichtungen für Palästinenser*innen im gesamten Gazastreifen betreffen. 
  • Aufhebung der Besetzung des Gazastreifens. 
    Israel darf die Rückkehr einer glaubwürdigen und rechenschaftspflichtigen palästinensischen Regierung nach Gaza nicht behindern und muss den physischen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenschluss zwischen dem Westjordanland und dem Gazastreifen zulassen. Israel muss sämtliche Versuche unterlassen, Gebiete im Gazastreifen dauerhaft völkerrechtswidrig zu besetzen oder demografische Veränderungen durch erzwungene Vertreibung und Deportation durchzusetzen.