- Fast die Hälfte (47 %) der im Osten und Süden der Ukraine befragten Personen berichten, dass ihre Häuser beschädigt oder zerstört wurden.
- 57 Prozent der befragten ukrainischen Vertriebenen geben an, dass sie seit mehr als 18 Monaten auf der Flucht sind.
- 83 Prozent der Befragten im ganzen Land berichten, dass sie um ihr Leben und das ihrer Mitmenschen fürchten oder sich nicht sicher fühlen.
Neue Daten aus einer von NRC Flüchtlingshilfe durchgeführten Umfrage mit über 1.000 Teilnehmer*innen in der gesamten Ukraine zeigen die verheerenden Auswirkungen der Eskalation des Krieges in den letzten zwei Jahren. Die Umfrage, die sich auf Themen wie Vertreibung, Zugang zu Dienstleistungen und die Fähigkeit der Ukrainer*innen, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen, bezieht, zeichnet ein komplexes Bild einer Bevölkerung, die, insbesondere im Osten und Süden, bis an die Grenzen des Überlebens gedrängt wurde.
Anjela, 44, aus Mykolaiv, und ihre Familie wurden vor fast zwei Jahren vertrieben, nachdem ihr Haus zerstört worden war.
„Wir beschlossen, als erste aus dem Dorf zu fliehen. Wir haben einfach eine Decke genommen und sie in Stücke gerissen, um daraus weiße Fahnen zu machen. Wir sind 15 Kilometer unter Beschuss gelaufen, einer nach dem anderen. Wir hatten Angst, erschossen zu werden, also mussten wir schnell laufen", erzählt sie.
Im April 2022 musste Anjela nicht nur fliehen, sondern erlebte auch noch einen schweren Schicksalsschlag, als ihr Vater, der in ihrem Heimatdorf zurückgeblieben war, um sich um seine Eltern zu kümmern, von einer Rakete getötet wurde.
„Die Leute, die damals noch im Dorf waren, zogen ihn unter den Trümmern hervor, alles war unter Beschuss...sein halber Kopf fehlte. Mein Vater wurde begraben, eingewickelt in eine Decke. Er war 65 Jahre alt. Es ist gut, dass die Leute ihn begraben und ein Kreuz aufgestellt haben, so wussten wir wenigstens, wo sein Körper lag. Andere hatten nicht einmal das."
Anjela erzählte uns, dass sie erst ein Jahr später in der Lage waren, die Leiche ihres Vaters zu bergen und ihn in einem Dorf in der Nähe des Ortes, an den sie und ihre Familie jetzt vertrieben wurden, angemessen zu bestatten. Sie erzählte, dass er nicht in ihrem Heimatdorf beerdigt werden konnte, da der dortige Friedhof inzwischen mit Minen kontaminiert ist.
Anjelas Geschichte verdeutlicht, dass zahlreiche Familien neben der anhaltenden Vertreibung und der Zerstörung ihrer Häuser auch mit tragischen Verlusten und Traumata zu kämpfen haben, während der Krieg weiter wütet.
Ganze 37 Prozent der Befragten gaben an, dass sie in den letzten 24 Monaten ein direktes oder erweitertes Familienmitglied verloren haben.
Die Daten aus dem Bericht weisen auch auf die Lebensbedingungen für Ukrainer*innen hin, die in Gebieten leben, welche derzeit unter russischer Besatzung sind. 64 Prozent der Befragten, die sich in den von Russland besetzten Gebieten aufhalten, gaben an, dass sie nicht in der Lage sind, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen, d. h. sie haben Schwierigkeiten, Nahrung, Wasser und Unterkunft zu finden.
Zwei Jahre später entwickelt sich das Leiden in der Ukraine zu einer langwierigen Krise, da die Menschen ihre Ressourcen erschöpfen und mit der Situation überfordert sind.
„Für Millionen von Ukrainer*innen ist es Alltag, unter ständiger Bedrohung durch Beschuss und Tod zu leben", sagte Jan Egeland, Generalsekretär des NRC.
Der Bedarf an humanitärer Hilfe in der Ukraine ist nach wie vor hoch. Im vergangenen Jahr wurden nur etwas mehr als zwei Drittel der benötigten Mittel bereitgestellt. In diesem Jahr werden voraussichtlich 14,6 Millionen Menschen in der Ukraine humanitäre Hilfe benötigen.
„Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die vom Konflikt betroffene Zivilbevölkerung geschützt wird und Zugang zu lebensrettender Hilfe hat. Wir haben das Recht - und die Pflicht -, die Versorgung der Zivilbevölkerung zu gewährleisten, egal wo sie sich befindet", betonte Egeland.
„Humanitäre Organisationen müssen sofortigen Zugang zu der Zivilbevölkerung erhalten, die in den von Russland besetzten Gebieten lebt."
„Mitgliedstaaten müssen alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Einhaltung des Völkerrechts in der Ukraine zu gewährleisten, während Geberländer ihre Bemühungen verstärken müssen, um die humanitäre Hilfe für Millionen von Ukrainer*innen, die noch immer darauf angewiesen sind, fortzusetzen. Die Welt darf die Ukraine nicht vergessen."